Gemünden ist eine bescheidene Gemeinde mit rund 1.300 Einwohnern am südwestlichen Ausläufer des Soonwalds. Ein Schloss ziert das malerische Panorama der Hunsrückortschaft. Dass jede Dorfgeschichte neben den schillernden auch ihre schattigen Seiten kennt, wird zwar immer vermutet, aber nicht jedes Mal eröffnen sich solche Abgründe wie in Gemünden zur Zeit des Dritten Reiches. Hier machten schon die frühesten NS-Ideologen Station, hier gab es die ersten "Saalschlachten", hier wurde die jüdische Bevölkerung bis auf den letzten Angehörigen für immer vertrieben. Und wenn etwa von hochrangigen NS-Funktionären die Rede ist, die aus dem Hunsrück kamen, dann ist eine Vermutung fast immer richtig: Sie stammten aus Gemünden.
Wer heute durch den "Flecken" geht, erkennt von alledem leider nichts. Nicht, dass die jüdische Gemeinde fast vollständig deportiert wurde; nicht, dass einzelne vermutlich schon an Ort und Stelle umgebracht wurden; nicht, wo die Synagoge stand und auch nicht, wo sich die letzten Judengräber befinden. Keine Hinweise - die Spuren sind sauber verwischt, und auch Chronisten, die dem Vergessen Einhalt gebieten, kennt Gemünden nicht.
Meine Arbeit muss sich daher aus Fragmenten, aus sporadischen Regionalquellen in Archiven und aus Zeitzeugenaussagen speisen. Insbesondere bezüglich der Zeitzeugen erwies es sich als traurige Realität, wie in so vielen anderen Regionalstudien auch, dass sich nur wenige Menschen bereiterklären, Auskunft über die belastende Vergangenheit zu geben. Es ist mir ein Anliegen, die Arbeit dennoch zu wagen, auch wenn sie nur Episoden, gewissermaßen die "Highlights" der Abgründe, wiedergibt; denn ich glaube, dass ich zum Aufschreiben verpflichtet bin, solange noch Zeitzeugen leben. Namen habe ich bewusst genannt, nicht um Schuld zuzuweisen, sondern um die Authentizität zu wahren.
Auf eines möchte ich jedoch hinweisen: Mir als jungem Menschen ist vieles von dem, was damals geschah, unbegreiflich. Ich habe die Geschehnisse in einer einfachen Sprache aufgezeichnet. Eine andere, gar wissenschaftliche Sprachform zu finden, war mir nicht möglich. Man mag es mir nachsehen und bedenken, dass die folgende Darstellung die erste ihrer Art für Gemünden ist.