Vor 85 Jahren wurden alle deutschen Rotary Clubs aufgelöst. Eine Schlingerfahrt durch die ersten viereinhalb Jahre Naziherrschaft fand damit ihr Ende. Nach den hoffnungsvollen Aufbruchsjahren von Rotary in Europa begann der Niedergang: 1936 in Franco-Spanien (Beginn des Bürgerkrieges), 1937 in Hitler-Deutschland, 1938 in Mussolini-Italien, 1939 im besetzten Polen, in den Folgejahren in allen von deutschen Truppen eroberten und besetzten Staaten.
Anders noch 1929: Rotary sei bestimmt vom Ideenkomplex bürgerlicher Humanität, beseelt von der Ideeneinheit von Freiheit und Bildung, Menschlichkeit und Duldsamkeit, Hilfsbereitschaft und Sympathie. Kein anderer als Thomas Mann, Gründungsmitglied des RC München, hatte diese Worte gesprochen. Doch bereits im April 1933 schloss sein Club ihn, den Literatur-Nobelpreisträger, aus. Zahlreiche andere rotarische Freunde - Juden, Sozialisten, der NSDAP-Missliebige - mussten Rotary verlassen. Warum? Gab es keine Alternativen?
Paul Erdmann, Rotarier im RC Stuttgart, ist diesen und vielen weiteren Fragen zu jener Zeit am Beispiel der RCs Stuttgart und München nachgegangen. Über viele Jahre hinweg wertete er Archive und Quellen aus. Sein Buch "Rotarier unterm Hakenkreuz. Anpassung und Widerstand in Stuttgart und München" ist mit über 800 Seiten die bislang umfassendste, gründlichste und farbigste Untersuchung dieses schwierigen Teils der Rotary-Geschichte in Europa. Wie sah das Umfeld aus? Welche Bildungshintergründe hatten die Mitglieder? Welche Rolle spielte in Stuttgart die starke Verankerung im schwäbischen Liberalismus und in der Bekennenden Kirche? Welche Rolle hatten Rotarier in führenden Stellungen bei Bosch oder bei der Deutschen Bank? Welche Anteile hatten Rotarier in Stuttgart und München am Widerstand gegen Hitler? Welche Bedeutung hatte der Protest der Richard-Wagner-Stadt München gegen Thomas Mann, wie stark waren auch Rotarier daran beteiligt? Worin lag es begründet, dass Stuttgarter Rotarier eher "standhaft" in ihrem Verhalten blieben?