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Theodor Lessing:"Bis etwa hin zum fünfzigsten Lebensjahr habe ich weder in dem wissenschaftlichen noch im schönen Schrifttume Deutschlands meinen Namen je begegnet, ohne daß ihm ein Schimpf beigefügt gewesen wäre. Daran änderte, wie das immer so geht, erst der äußere Erfolg. Erst die wachsende Wirkung mancher meiner Schriften auf nichtzünftige Leser, zumal auf die Jugend, hat auch die Gelehrten in ihrem Urteil nachgrade etwas vorsichtig gemacht, so daß jener ersten Zeitspanne mannigfacher Arbeiten, in welcher ich oft von allen Wortführern des Tages aus hundert Zeitungsschlündenangespieen wurde, kaum je aber wirklich gelesen worden bin, nunmehr eine zweite Zeitwelle gefolgt ist, in welcher ein verlegenes Schweigen (an die Stelle des ehrlichen Mißwollens getreten) klar bezeugt, daß die Fachwelt mein Werk nicht unterzubringen weiß und das breitere Publikum vordieser Gedankenwelt dasteht wie der Hund vor dem Apfel; indes doch keiner unbefangen mehr tun kann, was man so lange tat und am liebsten auch jetzt noch täte: über mein Wirken durch ein Menschenalter hinwegblicken mit irgendwelcher billig kränkenden Minderung: Dilettant, Literat,Feuilletonist, Polemiker, Pessimist, Individualist und ich weiß nicht was."Karl Theodor Richard Lessing, geboren am 8. Februar 1872 in Hannover; getötet am 31. August 1933 in Marienbad, Tschechoslowakei) war ein deutscher Philosoph, Schriftsteller und Publizist. Der von drei Attentätern in der Tschechoslowakei erschossene Autor gehört zu den ersten bekannten Opfern des Nationalsozialismus.Bernhard J. Schmidt:Wissenschafts- und Sozial-Psychologe,Fachbuchautor. |